Entscheidung des Bundesgerichtshofes zur Verweisung auf Stundenverrechnungssätze einer freien Werkstatt im Rahmen der Schadensminderungspflicht des Geschädigten, bei fiktiver Abrechnung - Weiterentwicklung des "Porsche-Urteils" (BGHZ 155, 1)
VI ZR 53/09, Urteil vom 20.10.2009
Im entschiedenen Fall war der ca. 9 1/2 Jahre alte PKW Golf des Klägers mit einer Laufleistung von über 190.000 km beschädigt worden. Die 100%ige Haftung auf Seiten des Unfallgegners stand fest. Die Haftpflichtversicherung des Schädigers berief sich jedoch auf die Schadensminderungspflicht des Geschädigten und verwies diesen auf die Stundenverrechnungssätze einer sog. "freien Karosseriefachwerkstatt", die sie benannte. Diese waren gegenüber den in dem vom Geschädigten eingeholten Schadensgutachten angesetzten Stundenverrechnungssätzen geringer.
Der BGH bekräftigte die grundlegende Entscheidung des "Porsche-Urteils", wonach der Geschädigte auch bei fiktiver Schadensberechnung grundsätzlich die Stundenverrechnungssätze einer markengebundenen Fachwerkstatt verlangen kann. Er stellte aber auch klar, dass die Schadensminderungspflicht des § 254 Abs. 2 BGB in bestimmten Konstellationen dazu führen kann, dass der Geschädigte nur die Stundenverrechnungssätze einer alternativen, billigeren freien Werkstatt abrechnen kann. Ausweislich der bei Abfassung dieses Artikels nur vorliegenden Pressemitteilung des BGH gelten hier künftig offenbar folgende Kriterien:
-
Die Alternativwerkstatt muss "gleichwertig" zu einer markengebundenen Fachwerkstatt sein, d.h. der Qualitätsstandard der Reparatur muss dem der markengebundenen Fachwerkstatt entsprechen. Beweispflichtig hierfür ist der Schädiger.
-
Die Rearatur in der Alternativwerkstatt muss für den Geschädigten mühelos und ohne Weiteres zugänglich sein.
-
Auch wenn die vorstehenden Voraussetzungen erfüllt sein sollten, muss sich der Geschädigte - auch bei fiktiver Abrechnung -, aufgrund von Zumutbarkeitserwägungen, nicht auf die Stundenverrechnungssätze der Alternativwerkstatt verweisen lassen, wenn
-
das Fahrzeuge weniger als 3 Jahre alt ist. Hintergrund ist hier, dass der Geschädigte bei diesen jüngeren Fahrzeugen bei Reparatur in einer Fremdwerkstatt dann mit Nachteilen bei der eventuell später erforderlichen Inanspruchnahme von Gewährleistungsrechten, Herstellergarantie oder Kulanzleistungen rechnen müsste.
Anmerkung: Nach Auffassung des Verfassers ist hier bereits wieder die Grundlage für neuen Streit gelegt worden, da es inzwischen bei einzelnen Marken auch wesentlich längere Herstellergarantien gibt, etwa von 5 oder 7 Jahren;
-
das Fahrzeug zwar älter als 3 Jahre ist, der Geschädigte aber bislang sein Fahrzeug immer bei einer markengebundenen Fachwerkstatt warten / reparieren ließ; die Beweislast hierfür liegt allerdings dann beim Geschädigten; oder
-
das Fahrzeug letztlich doch in einer markengebundenen Fachwerkstatt ordnungsgemäß tatsächlich instandgesetzt wird, also auf eine konkrete Abrechnung gewechselt wird.
-
Damit bleibt als Fall, in dem der Geschädigte sich auf die Stundenverrechnungssätze der Alternativwerkstatt verweisen lassen muss also letztlich nur der Fall, dass die Voraussetzungen gemäß Ziffer 1 und Ziffer 2 erfüllt sind, das Fahrzeug älter als 3 Jahre ist und bisher nicht immer in einer markengebundenen Fachwerkstatt gewartet oder repariert wurde.
Anmerkung: Auch hier ist künftiger Streit vorprogrammiert, etwa für Fälle, in denen das - gebrauchte - Fahrzeug erst vor kurzem erworben wurde und daher noch keine Wartungshistorie beim Geschädigten hat und dieser möglicherweise die Wartungshistorie bei dem/den Voreigentümer/n nicht kennt oder beweisen kann) oder in denen z.B. kleine Wartungen oder Reparaturen wie etwa Ölwechsel, Reifenservice, Leuchtmittelauswechslung, etc. bei freien Werkstätten erfolgten, größere Wartungen und Reparaturen aber in der Markenwerkstatt.