02.11.2016

Haftungsverteilung beim Einfahren des Radfahrers vom Radweg auf die Straße

Zur Geltung von § 10 StVO für Radfahrer und den sich hieraus ergebenden Haftungsfolgen

(Vergleiche LG Hamburg, Urteil vom 31.3.2016, Az. 302 S 55/15)
 

Das Landgericht Hamburg hatte über einen Verkehrsunfall zu entscheiden, bei welchem ein Radfahrer von einem Fahrradweg, welcher über einen abgesenkten Bordstein auf eine Straße einmündete, auf diese Straße einfuhr. Der Radweg setzte sich nicht durch entsprechende Markierungen auf der Straße fort. Hierbei kam es zur Kollision zwischen dem Radfahrer und einem auf der Straße entgegenkommenden Pkw, dessen Fahrer seinerseits nicht hinreichend aufmerksam war.

Das Landgericht Hamburg hat entschieden, dass die in § 10 StVO aufgestellten Sorgfaltspflichten nicht nur für Kraftfahrzeuge, sondern für alle fahrenden Verkehrsteilnehmer, dementsprechend auch für Radfahrer Geltung haben. Kommt es beim Einfahren des Radfahrers vom Fahrradweg auf eine Straße zur Kollision mit einem PKW, dessen Fahrer seinerseits nicht ausreichend aufmerksam ist, so ergibt sich eine Haftungsverteilung von 60 % zu 40 % zu Lasten des Radfahrers.

Anmerkung:

Das Urteil basiert auf der Vorschrift des § 10 StVO. Dieser ordnet an, dass „wer“ aus bestimmten, konkret bezeichneten Verkehrsbereichen (Grundstücke, Fußgängerzonen, verkehrsberuhigte Bereiche) auf eine Straße einfährt oder von einem anderen Straßenteil oder über einen abgesenkten Bordstein hinweg auf die Fahrbahn einfährt oder vom Fahrbahnrand anfahren will, sich hierbei so zu verhalten hat, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Dies ist der höchste Sorgfaltsmaßstab, den die Straßenverkehrsordnung kennt.

Wichtig ist, dass § 10 StVO durch die Formulierung, dass „wer“ die entsprechenden Fahrmanöver vollzieht eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausschließen müsse, jeden Verkehrsteilnehmer der fährt, zum Adressaten der Vorschrift macht. Betroffen sind also keineswegs nur Kraftfahrzeuge aller Art, vom Mofa bis zum 40-Tonner, sondern auch alle anderen fahrenden Verkehrsteilnehmer, insbesondere also auch Radfahrer, einschließlich E-Bike und Pedelec. Fährt dementsprechend ein Radfahrer von einem Radweg in den Bereich der eigentlichen Straße ein, hat sich der Radfahrer dabei also so zu verhalten, dass jegliche Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer, auch der Kraftfahrer, ausgeschlossen ist. Kommt es trotzdem zu einem Unfall, so impliziert dies zunächst einmal, dass der Radfahrer sich nicht normgemäß verhalten haben kann, da es nicht zum Unfall hätte kommen können, wenn sein Verhalten jegliche Gefährdung anderer wirklich ausgeschlossen hätte.

 

Haftungsrechtlich hat dies für den Radfahrer zur Folge, dass er auch gegenüber der Betriebsgefahr eines Kraftfahrzeugs und auch bei einer einfachen Unaufmerksamkeit/Fahrlässigkeit eines Kraftfahrers, schnell überwiegend für den Unfall haftet. In dem hier betroffenen Einzelfall hat das Landgericht Hamburg eine Haftungsverteilung von 60 : 40 zu Lasten des Radfahrers gesehen, unter Einbeziehung sowohl der Betriebsgefahr des Kraftfahrzeugs, als auch einer zur Überzeugung des Gerichtes feststehenden Unaufmerksamkeit des Kraftfahrers. Ist dem Kraftfahrer im konkreten Einzelfall kein Fahrlässigkeitsvorwurf zu machen, verschiebt sich die Haftungsquote gegebenenfalls weiter zu Lasten des Radfahrers. Liegt ein besonders schwerwiegendes Fehlverhalten des Kraftfahrers vor, so verschiebt sich die Haftungsquote gegebenenfalls zu Gunsten des Radfahrers.

 

In jedem Falle zeigt die Entscheidung, dass (auch) Radfahrer, nicht nur im eigenen Gesundheitsinteresse, sondern auch aus allgemeinen haftungsrechtlichen Gründen gut beraten sind, beim Einfahren auf eine Straße extrem vorsichtig zu sein.